50 Kilometer trennen die schleswig-holsteinische Eulenspiegelstadt Mölln und die liebevoll restaurierte Landstadt Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Dazwischen der Schaalsee: vor 1989 hoch gesicherter Grenzsee, heute UNESCO-Biosphärenreservat. Eine kontroverse Ost-West-Diskussion begleitet seine Entwicklung vom Sperrgebiet zum Refugium für Seeadler und Naherholungsgebiet in den 1990er Jahren.
Eine Städtepartnerschaft verbindet Mölln und Hagenow seit dem 2. Oktober 1990. Als „Mosaikstein der Wiedervereinigung“ ist sie gedacht und soll auch die Ost-Verwaltung bei ihrem Umbau zu unterstützen. Viele direkte Kontakte entstehen aber ganz unorthodox: ein Fußballturnier wird an der Tür der Jugendherberge verabredet und das Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow hat seinen Ursprung bei einer gemeinsamen Waldwanderung Möllner und Hagenower Rollifahrer*innen. Viele euphorische Kontakte flauen trotz der geographischen Nähe beider Städte bald wieder ab. Zu unterschiedlich sind die Lebensrealitäten der Menschen beider Städte.
Wo lernt man sich schneller kennen als beim Sport? Wenige Tage nach Öffnung der Mauer denken sich das auch die Handballer vom SG Aufbau Boizenburg. Im 12 Kilometer entfernten Lauenburg erfragen sie in der Lokalredaktion Kontakte von interessierten Westmannschaften. Die Redaktion stiftet den Pokal. Noch im November 1989 findet das erste Ost-West-Freundschaftsspiel der Region in Lauenburg statt. Die Halle platzt aus allen Nähten. Der Sport wird zur Nebensache. Im Vordergrund steht die Begegnung der neuen Nachbar*innen.
Sie berichten damals als Sportjournalist von dem Handballspiel. Wie erinnern Sie sich an diese erste Sportbegegnung zwischen Ost und West?
Harald Klipp, Mölln
Sportjournalist
In Mölln klopft wenig später die NVA an die Tür der Jugendherberge. Auch der Trainer der Armeesportgemeinschaft Vorwärts Hagenow sucht unkonventionell neue sportliche Gegner im Westen. Seine Spieler sind Rekruten der Grenztruppen der Kaserne Hagenow. Fußball wird hier als Leistungssport betrieben. Man spielt erfolgreich in der Bezirksliga Schwerin. Der Jugendherbergsvater vermittelt. Im Januar 1990 steht Vorwärts Hagenow dem ehemaligen Klassenfeind gegenüber. In der Auswahl der Möllner Sportvereinigung spielt auch ein Bundeswehrangehöriger mit.
Es ist ein Turnier mit Hindernissen. Unverhofft stehen Sie zunächst im Tor. Wie kommt es dazu?
Harald Klipp, Mölln
Sportjournalist
Neben ASG Vorwärts Hagenow und der MSV Mölln mischen auch Vorwärts Prora, Hydraulik Parchim sowie ISG Tief und Chemie Schwerin auf dem spiegelglatten Parkett mit. Nur gegen Prora kann Mölln punkten, gewinnt aber die Sympathien der Zuschauer*innen.
Aufregung pur! Wie war das erste Spiel gegen eine Westmannschaft?
Eike Lenz, Hagenow
ehemaliger Linksaußen ASG Vorwärts Hagenow
Noch zweimal spielen die MSV Mölln und die ASG Vorwärts Hagenow gegeneinander. Ab Frühjahr 1990 wird der NVA-Standort Hagenow aufgelöst. Schon vor Saisonende verliert die ASG Vorwärts Hagenow immer mehr Spieler. Zu Saisonende wird die ASG aufgelöst, den Platz in der Bezirksliga übernimmt Lok Hagenow. Einige Spieler von Vorwärts Hagenow wechseln auch zu Vereinen im Westen.
Wechsel in den Westen. Funktioniert Fußball hier anders?
Eike Lenz, Hagenow
ehemaliger Linksaußen ASG Vorwärts Hagenow
Viele verlieren in den ersten Monaten und Jahren nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern ihre Jobs, auch in Hagenow. Im Kartoffelveredlungswerk, der Landwirtschaft, der Elbewerft Boizenburg: überall fallen Stellen weg, werden Betriebe geschlossen. Viele Menschen fühlen sich in dem für sie neuen System nicht mehr gebraucht, müssen sich beruflich neu orientieren, mit Schulden und vielfach auch sozialem Abstieg umgehen lernen. In Hagenow wollen das aber nicht alle einfach hinnehmen…
Wie haben Sie die Kündigung Anfang der 1990er Jahre und die Arbeitslosigkeit erlebt?
Liane Hirschmann, Hagenow
Schuldnerberaterin im Arbeitslosenzentrum Hagenow
Unter dem Dach des Arbeitslosenverbands Deutschland e. V. wird im Oktober 1991 in einem Acht-Quadratmeter-Raum und ohne ausreichend Stühle das Arbeitslosenzentrum Hagenow gegründet. Die fünf Mitarbeiterinnen haben kurz vorher selbst ihre Arbeit verloren und werden über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) für zwei Jahre finanziert. Mit viel Herzblut und Engagement legen sie los …
Was waren die ersten Angebote des Arbeitslosenzentrums Hagenow?
Liane Hirschmann, Hagenow
Schuldnerberaterin Arbeitslosenzentrum Hagenow
„Es sollte eine Kontaktstelle für Arbeitslose mit Beratungen zu allen Fragen der Arbeitslosigkeit sowie der allgemeinen Rechtsberatung (…) sein, aber auch die Organisation offener Gesprächsrunden zu Problemen des Alltags, der Gesundheit, Ernährung, Familie usw. sowie die Organisation gemeinschaftlicher Betätigung von Arbeitslosen als sinnvolle Arbeit und Freizeitgestaltung beinhalten. Des Weiteren sollten Werkstätten für Arbeitslose errichtet werden, ein Arbeitslosenfrühstück angeboten werden, die Betreuung von Kindern während Behördengängen gesichert (…) werden.
Elke Burmeister, Hagenow (2016), Mitbegründerin des Arbeitslosenzentrums
Der Beratungsbedarf ist groß. Hunderte Menschen melden sich in den ersten Monaten nach Eröffnung in der Beratungsstelle. Es sind vor allem Frauen, die ihre Arbeit verlieren und hier auch sozialen Anschluss suchen. Eröffnet werden eine Nähwerkstatt, Bücherbörse, Kleiderkammer und eine Möbelbörse. Über 100 Menschen bringt das Arbeitslosenzentrum über ABM-Maßnahmen selbst kurzfristig in Arbeit, kann sozialen Halt geben und gleichzeitig weitere Angebote schaffen.
Über 20.000 Menschen berät das Arbeitslosenzentrum bis 1995, doch die eigene Zukunft ist unsicher. Jedes Jahr hängt die Finanzierung durch die Kommune am seidenen Faden. Ab 1997 muss ein Eigenanteil beigesteuert werden. Nähwerkstatt, Bücherstube und Möbelstube werden nun auch zum Wirtschaftsfaktor. Auf Märkten, Basaren und Feiern werden die selbst hergestellten Handarbeiten und Bücher aufgelöster Bibliotheken verkauft. Nach und nach können feste Mitarbeiter*innen-Stellen geschaffen werden.
Auch Kinder sind von der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern betroffen. Für sie organisiert das Arbeitslosenzentrum Bastel- und Spielenachmittage und ab 1993 Ferienaufenthalte. Finanziert werden die Ferienlager von Hagenower Gewerbetreibenden und Privatpersonen. In manchen Familien geht es allerdings um Grundsätzliches: Geburtsurkunden, Kindergeld und Schulausrüstung müssen besorgt werden. Und immer mehr Menschen haben hohe Schulden. Auch hier wird das Arbeitslosenzentrum aktiv…
Warum verschulden sich so viele Menschen und wie hilft das Arbeitslosenzentrum?
Liane Hirschmann, Hagenow
Schuldnerberaterin Arbeitslosenzentrum Hagenow
Nach dem Mauerfall sucht man sich, auch auf kommunaler Ebene. Über 750 Städtepartnerschaften zwischen Ost- und West-Kommunen entstehen bis zum 3. Oktober 1990. Mit diesem „Instrument der praktischen Hilfe“ (Manfred Klaus 2002) sollen die ostdeutschen Städte von ihren westdeutschen Partnerstädten beim Aufbau funktionstüchtiger und bürgernaher Verwaltungsstrukturen unterstützt werden. Doch Mölln ist zunächst noch zögerlich.
Ob für Sportturniere oder Schützentreffen, auch auf kommunalpolitischer Ebene sind es Vertreter*innen aus Hagenow, die den Kontakt zum Möllner Rathaus suchen. Regelmäßige Treffen zwischen den Vertreter*innen beider Städte beginnen. Mölln will sein Wissen und seine Erfahrungen über die moderne und demokratische Verwaltungsarbeit vermitteln. Hagenower Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung kommen zum hospitieren in die Eulenspiegelstadt. Eine offizielle Städtepartnerschaft scheuen die Möllner zunächst noch.
Welche Ziele und Erwartungen werden mit der Städtepartnerschaft zwischen Mölln und Hagenow verbunden?
Wolfgang Engelmann, Mölln
Bürgermeister a. D.
Am Vorabend der Deutschen Einheit sagen auch Mölln und Hagenow offiziell „ja“ zueinander. Bei einer Feierstunde im Möllner Stadthauptmannshof wird die Partnerschaft besiegelt. Als „Mosaikstein der Wiedervereinigung“ soll sie dazu beitragen, die Trennung zwischen den Menschen aus Ost und West zu überwinden. Und: Es soll eine gleichberechtigte Zusammenarbeit der beiden Städte sein!
Wie wird die Städtepartnerschaft gelebt?
Wolfgang Engelmann, Mölln
Bürgermeister a. D.
Und jenseits der Kommunalpolitik, gibt es da auch Begegnungen zwischen beiden Städten?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Und heute: Was ist von der Städtepartnerschaft geblieben?
Harald Klipp, Mölln
Journalist
Wolfgang Engelmann, Mölln
Bürgermeister a.D.
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Wohngruppen, Werkstätten und Förderschulen für Menschen mit Behinderung, die in der BRD ab den 1960er Jahren langsam entstehen, gibt es in Hagenow nicht. Viele Menschen sind als Hilfsarbeiter*innen in Betrieben tätig, schwerst- oder mehrfach behinderte Menschen in einer alten Villa am Waldrand untergebracht, wo sie lediglich in ihren Betten liegen und wie Kranke gepflegt werden. Schon im Januar 1990 regt sich gegen diese Zustände Widerstand, Kinderärzte und Betroffene machen Druck und beginnen sich zu organisieren…
Warum kommt es zur Gründung der Lebenshilfe in Hagenow?
Ursula Hase, Hagenow
Mitbegründerin der Lebenshilfe Hagenow e. V.
Engagement und viel guter Wille reichen bald nicht mehr. Anträge müssen gestellt werden, Verhandlungen über Pflegesätze geführt, geeignete Gebäude und Personal gefunden werden. Schnell erkennen die Hagenower*innen, dass sie Hilfe von Menschen benötigen, die Erfahrungen im Aufbau von Fördereinrichtungen und der Arbeit mit Menschen mit Behinderung haben. Was liegt da näher als dem Lebenshilfewerk in Mölln einen Besuch abzustatten – das gibt es immerhin schon seit 10 Jahren…
Wie ist Ihre erste Begegnung mit dem Lebenshilfewerk Mölln?
Ursula Hase, Hagenow
Mitbegründerin der Lebenshilfe Hagenow e. V.
Und wie erleben die Möllner die beginnende Zusammenarbeit mit den Hagenower*innen?
Hans-Joachim Grätsch, Mölln
Ehem. Geschäftsführer des Lebenshilfewerks Mölln-Hagenow
Am Anfang steht die Suche nach einem geeigneten Ort. Viele leerstehende Gebäude werden der Lebenshilfe Hagenow angeboten, leerstehende Kitas, ehemalige Kasernen und Stasigebäude, doch sie sind weder barrierefrei noch in der Stadt gelegen. Mitten im Leben will man jetzt sein. Dann kommt Ende 1990 der Hinweis, dass die ehemalige Forschungsbaracke des Kartoffelveredlungswerks leer ist und zum Verkauf steht, mitten im Industriegebiet. Kann das was werden?
Wie erinnern Sie den Aufbau dieser ersten Werkstatt in Hagenow?
Ursula Hase, Hagenow
Mitbegründerin der Lebenshilfe Hagenow e. V.
Ines Mahnke, Hagenow
Geschäftsführerin Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow
Schnell wird die Baracke zu klein. Die Lebenshilfe Hagenow, seit Frühjahr 1991 die Lebenshilfewerk Hagenow GmbH und nun auch offiziell mit den Möllnern verbunden, übernimmt Wohneinrichtungen, baut weitere Werkstätten, Arche-Höfe und zahlreiche weitere Projekte. Immer mehr Menschen mit Behinderung aus der Region finden hier Arbeit, Ausbildung und eine neue Heimat. Mehr und mehr Firmen werden Auftraggeber, das Lebenshilfewerk zu einem immer größeren Akteur in Hagenow. Und die Lebenshilfeeinrichtungen Mölln und Hagenow zu einer Institution.
Das Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow ist eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte. Gibt es auch Momente, wo Sie gemerkt haben, dass Sie aus Ost und West kommen?
Hans-Joachim Grätsch, Mölln
Ehem. Geschäftsführer des Lebenshilfewerks Mölln-Hagenow
Ines Mahnke, Hagenow
Geschäftsführerin Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow
Ursula Hase, Hagenow
Mitbegründerin der Lebenshilfe Hagenow e. V.
Am 27. September 1989 treffen sich Menschen bei Pfarrerin Inge de Boor zur Tea Time. Es ist die Gründungsstunde des Neuen Forums in Hagenow. Lehrer, Ärzte, Pfarrer, sie alle wollen etwas in der DDR verändern. Arbeitsgruppen werden gegründet und am 9. November 1989 gehen schließlich erstmals Menschen in Hagenow auf die Straße. Das Neue Forum hat für 19 Uhr zum Friedensgebet in der Kirche aufgerufen. Anschließend gibt es einen Schweigemarsch mit Gedenken an der ehemaligen Synagoge.
10.000 Menschen protestieren gegen die DDR-Regierung, für mehr Demokratie und für Reisefreiheit – im Sperrgebiet. Die Stasi beobachtet die Demonstrant*innen genau. Eines wissen zu diesem Zeitpunkt aber weder die Hagenower Demonstrant*innen noch die Stasi-Mitarbeiter*innen…
Wie erleben Sie die Demo in Hagenow und wie erfahren Sie von der Öffnung der Grenze?
Barbara Gubalke, Wittenburg
Kinderärztin und Kommunalpolitikerin
Irene de Boor, Vietlübbe
Pfarrerin
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Die Freude kennt in den kommenden Tagen keine Grenzen. Zu den kirchlichen Treffen und Arbeitsgruppen des Neuen Forums kommen in den nächsten Wochen aber immer weniger Menschen. Viele sind im Westen und jetzt mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Doch wie soll es weitergehen in Hagenow? Was wird aus den Zielen und Forderungen des Neuen Forums? Was aus den Hoffnungen der Aktivist*innen, eine neue Gesellschaft mitgestalten zu können?
Etliche Mitstreiter*innen entscheiden sich fürs Weitermachen. Ein Büro wird angemietet und man tritt bei den Kommunalwahlen an, die im Mai 1990 in der gesamten DDR stattfinden. Nicht alle scheinen begeistert über die neue Wahlmöglichkeit. Steine fliegen durch die Fensterscheibe des Wahlbüros und am Wahlabend landet das Neue Forum abgeschlagen auf dem letzten Platz. Die Enttäuschung ist groß, aber auch als Opposition hat man jetzt im Stadtrat zumindest den direkten Draht zu den anderen Parteien.
Sie haben das Neue Forum mit gegründet. Jetzt gibt es neue Möglichkeiten der Mitgestaltung aber auch neue politische Herausforderungen. Welchen Weg gehen Sie?
Barbara Gubalke, Wittenburg
Kinderärztin und Kommunalpolitikerin
Wie geht es für Sie mit dem Neuen Forum weiter? Für welchen Weg entscheiden Sie sich?
Irene de Boor, Vietlübbe
Pfarrerin
Irene de Boor und Barbara Gubalke gehen in den vergangenen 30 Jahren ganz unterschiedliche Wege. Barbara Gubalke ist noch viele Jahre in der Kommunalpolitik tätig, gründet eine Musikschule, ein Hospiz und ist als Kinderärztin für die Menschen da. Irene de Boor begleitet als Pfarrerin Trauernde, junge Familien und setzt sich weiter für das ein, was 1989 ihr größter Beweggrund dafür war, aktiv zu werden: Schule so zu gestalten, dass Kinder in ihrer Vielfalt gestärkt werden und nicht normiert wieder rauskommen.
Die frühen 1990er Jahre sind von Aufbruch und Umbruch geprägt, aber auch von massiv anwachsendem Rechtsextremismus. Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen, Mölln… In Ost- und Westdeutschland werden Migrant*innen diskriminiert, bedroht, ihre Häuser überfallen. Am 23. November 1992 verüben zwei Männer einen Brandanschlag auf ein Haus in der Mühlenstraße in Mölln. Yeliz Arslsan, Ayşe Yilmaz und Bahide Arslan sterben.
Sie leben in Mölln: Wie erleben Sie den Anschlag und die Zeit danach?
Harald Klipp, Mölln
Journalist
Sie leben 1992 in der Partnerstadt von Mölln. Wie erleben Sie hier den rechtsextrem motivierten Mord?
Barbara Gubalke, Wittenburg
Kinderärztin und Kommunalpolitikerin
Der zunehmende Rassismus und Rechtsextremismus baut in den neuen Bundesländern in den 1990er Jahren auf bereits bestehenden Strukturen und rassistischen Einstellungen auf. Stimmung gegen Migrant*innen und die Aufnahme von Geflüchteten wird längst nicht nur von rechten Gruppen gemacht.
Wie haben Sie Rechtsextremismus in der DDR und nach der Öffnung der Grenze 1989 wahrgenommen?
Irene de Boor, Vietlübbe
Pfarrerin
Wie geht Mölln mit der Erinnerung an den Anschlag von 1992 um und welche Bemühungen gibt es, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren?
Wolfgang Engelmann, Mölln
Bürgermeister a. D.
Inzwischen gibt es wieder große Demonstrationen gegen „das System“. Was sagen Sie diesen Menschen?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Auf halber Strecke zwischen Mölln und Hagenow liegt der 24 Quadratkilometer große Schaalsee. Bis 1989 teilt ihn die innerdeutsche Grenze, das Ostufer ist Sperrgebiet. Baden darf hier nicht einmal der Förster und die wenigen Menschen, die im Sperrgebiet wohnen bleiben dürfen, benötigen spezielle Passierscheine, um sich im Alltag bewegen zu können. Während am Westufer Ferienhäuser und Campingplätze entstehen, kann sich die Natur im abgesperrten Grenzgebiet auf der Ostseite ungestört entwickeln…
Seeadler, Reiher, Fischotter und viele andere bedrohte Tiere und Pflanzen finden im und um den See ihren Lebensraum. Schon in der DDR setzen sich Umweltschützer*innen für Erhalt und Schutz der besonderen Artenvielfalt ein. Dann kommt der Fall der Mauer, der Zugang zum See auf der Ostseite ist endlich wieder möglich. Schnell entwickelt sich zwischen Umweltschützern aus der DDR und BRD sowie Menschen, die den See endlich als Freizeit- und Erholungsgebiet nutzen wollen, eine kontroverse Debatte.
Wie haben Sie als Journalist aus Mölln Anfang 1990 das Bürgertreffen zum Schaalsee in Zarrentin erlebt?
Harald Klipp, Mölln
Journalist
Die Verordnung über die Festsetzung von Nationalparks sowie von Naturschutzgebieten ist der letzte Beschluss des Ministerrats der DDR vom 12. September 1990. 14 Gebiete werden zu Nationalparks, Biosphärenreservaten oder Naturparks erklärt. Eine Fläche von fast 5.000 Quadratkilometer wird so dauerhaft geschützt. Als Tafelsilber der deutschen Einheit bringt die DDR die Naturlandschaften in den Einheitsvertrag mit ein. Die Schaalseeregion wird mit 310 Quadratkilometern zunächst zum Naturpark, einem umstrittenen.
Wie gelingt es, die unterschiedlichen Interessen, Wünsche und Emotionen der Menschen mit dem Naturschutz am Schaalsee in Einklang zu bringen?
Detlef Mohr, Klein Salitz
Schäfer und Umweltschützer
Nicht nur erneute Schlagbäume und verhinderte Badestellen bringen Menschen der Region gegen den Naturschutz auf. Manche fürchten, dass die Maßnahmen der Naturschutzbehörde die Entwicklung der Region und damit Arbeitsplätze verhindern. Vor allem der Tourismus soll sich hier entwickeln können und dafür braucht es die notwendige Infrastruktur und gerne auch wieder eine Fähre. Und so manch reicher Wessi sieht am Ostufer auch schon seine Ferienvilla…
Viel Arbeit muss das Naturschutzamt leisten, um die Menschen davon zu überzeugen, dass die einmalige Natur der Region ihr Kapital ist, von dem die Menschen profitieren können, wenn sie geschützt wird. Zahlreiche Diskussionsrunden finden statt und Programme werden entwickelt. 1998 wird das Naturschutzgebiet vom Land als Biosphärenreservat ausgewiesen. Ökologische, ökonomische und soziale Entwicklung sollen nachhaltig und im Einklang erfolgen. 2000 wird die Schaalseeregion zum UNESCO-Biosphärenreservat.
Viele Menschen rund um den Schaalsee leben inzwischen vom Naturschutz oder produzieren in dieser Region. Viele haben sich als Direktvermarkter zusammengeschlossen. Der regelmäßig stattfindende Biosphärenmarkt am Informationszentrum PAHLHUUS in Zarrentin ist ein plakatives Instrument, um die Attraktivität und Möglichkeiten der Region Einheimischen und Gästen zu präsentieren und ihr Spiegelbild.
Auch für Sie ergeben sich durch die Grenzöffnung neue Möglichkeiten. Wie ist das Leben mit und im UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee?
Detlef Mohr, Klein Salitz
Schäfer und Umweltschützer
Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze im November 1989 beginnt sich das Leben der Menschen von Tag zu Tag in immer mehr Bereichen und teilweise radikal zu wandeln. Kuno Karls, Optiker, Fotograf und seit 1969 Ortschronist von Hagenow, hat die Veränderungen in seiner Stadt in den ersten Jahren nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung erlebt, beobachtet und dokumentiert.
Wie verändert sich die Stadt Hagenow in den frühen 1990er Jahren?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Häuser, Straßen und Plätze. Alles soll in den frühen 1990er Jahren so schnell wie möglich wieder in Schuss gebracht werden. Für manche Gebäude kommt die Rettung zu spät, anderes zerstört der Modernisierungseifer. Und auch Glücksritter aus dem Westen suchen in den neuen Bundesländern die schnelle Mark im Immobilien- und Baugewerbe.
Auch wirtschaftlich verändert sich vieles in Hagenow. Gelingt der Übergang in die Marktwirtschaft?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Viele Betriebe werden zu Beginn der 1990er Jahre auch in Hagenow abgewickelt, an westliche Investoren verkauft, Personal abgebaut oder die Produktion verlagert. Viele Hagenower*innen verlieren ihren Job. Nicht alle nehmen das einfach so hin….
Wie sind Ihre wirtschaftlichen Kontakte als Optiker zu Kolleg*innen aus dem Westen Anfang der 1990er Jahre?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Neben einem NVA-Stützpunkt gibt es auch eine Garnison der Sowjetarmee in Hagenow. Viel hat man allerdings nicht miteinander zu tun, zumindest nicht offiziell. Für die in Hagenow stationierten Soldaten der Sowjetarmee bedeuten der Mauerfall und die Wiedervereinigung der Abzug 1992. Die Kasernen bleiben zunächst leer…
Freuen sich die Hagenower*innen, als die Soldaten 1992 abziehen?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
Sammler*innen um den Hagenower Ortschronisten Kuno Karls durchstreifen nach dem Abzug die leeren Kasernengebäude und bergen zahlreiche Erinnerungsstücke.
Sie sammeln fast alles, was aus der Zeit der DDR stammt. Warum?
Kuno Karls, Hagenow
Optiker und Ortschronist
In einer alten Scheune sammelt Kuno Karls alles, was aus der Zeit der DDR stammt. Ganze Wohnzimmer und Ladeneinrichtungen, Bücher, Büsten, Abzeichen und Uniformen gibt es hier. Unter anderem viele Schulklassen besuchen seinen "DDR-Stall" und Kuno Karls erzählt ihnen von dem Leben, den Beschränkungen und dem politischen System dieser Jahrzehnte und davon, wie die Hagenower*innen wie hunderttausende andere DDR-Bürger*innen vor 31 Jahren auf die Straße gingen und für Demokratie demonstrierten.
EINHEITSBILDER ist eine Ausstellung der musealis GmbH – gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung unter der Schirmherrschaft des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, mit freundlicher Unterstützung der Mall of Berlin.
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