Die Region Selb ist wegen der spärlich angesiedelten Schwerindustrie zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Ort des feineren Handwerks. Für die Produktion von Porzellan wird der Rohstoff Kaolin – das weiße Gold – benötigt. Aufgrund der hohen Kaolinvorkommen und des hohen Waldbestandes, der für die Kohlegewinnung und Brennstoffproduktion wichtig ist, haben die Regionen in Nordwestbayern und Ostthüringen beste natürliche Voraussetzungen für die Porzellanindustrie. Die Porzellanindustrie steht damals nicht in Konkurrenz zu anderen Industriestätten.
Mit der Niederlassung von Carolus Magnus Hutschenreuther wird die Region Selb zum Produktionsstandort. Die Erschließung ans Eisenbahnnetz sichert den notwendigen Transport für Waren und Rohstoffe. Die Produktion expandiert. In den 1920er Jahren gibt es mehr als 20 Fabriken vor Ort. Bis in die 1980er Jahre arbeitet ein Großteil aller Menschen in der Region von der Ausbildung bis zur Rente in einer Fabrik. Bis in die späten 1980er Jahre wird 85% des deutschen Porzellans in der Region hergestellt.
Schon vor der Wende änderte sich die Absatzgarantie für die Porzellanbranche. Mit der Globalisierung und der Verlagerung von Produktionsstätten in den 1990er Jahren kam preiswertes Geschirr auf den Markt. Auch änderte sich der Lebensstil der Bevölkerung. Beide Prozesse zwangen die lokale Produktion zur Veränderung: Weg vom feinen Kaffeeservice zum Haushaltsgeschirr, dass mit den preiswerten Produkten aus Kenia und Malaysia konkurrieren kann.
Als das größte Traditionsunternehmen Hutschenreuther Mitte der 1990er Jahre vom Unternehmen Winterling übernommen wird und jenes kurz darauf Insolvenz anmeldet, wird die eigentliche Wende besiegelt. Heute existiert Hutschenreuther nur noch als Marke – produziert wird regional nicht mehr.
Mit der Wiedervereinigung verlieren die Grenzregionen der BRD Anfang der 1990er die Zuschüsse, die sie vormals aus genau diesem Grund erhalten hatten. Aus der Zeitung erfahren sie, dass die Förderung nun in den Osten ginge. Beispielsweise dockt man Produktionsstätten der Automobilindustrie an alte Autofabrikstandorte der DDR an. So werden keine neuen Fabrikstandorte in den Grenzregionen Bayerns und Hessens gebaut, die sich ebenfalls im Wandel befinden. Im früheren Grenzland ist von Förderung keine Spur: Anfang der 1990er werden Fabriken der ehemaligen DDR ‚abgewickelt’ – stark verkleinert oder ganz geschlossen. Die Menschen suchen vorrangig in den westdeutschen Grenzregionen nach Arbeitsstellen.
Bereits 1982 wird das Porzellanikon, Staatliches Museum für Porzellan in Hohenberg an der Eger, in einer stillgelegten Fabrik gegründet. Die Kunsthistorikerin Petra Werner kuratiert das Museum von Anfang an. Nach der Wende werden neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht. Auch ehemalige Beschäftigte aus der Keramikindustrie aus der ehemaligen DDR bewerben sich hier und sind bis heute im großen Team eine Bereicherung.